Lahntal will Energie- und Klimaschutz-Qualitätsmanagment aufbauen

WindkraftMit zwei Beschlüssen hat die Gemeindevertretung am 27. August die Weichen für eine weitreichende Entwicklung von Lahntal zu einem verantwortungsvollen Energieeinsatz gesetzt. Die Gemeinde wird in einem interkommunalen gemeinschaftsprojekt kommunale Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Klimaschutzes erarbeiten und sich am European Energie Award beteiligen. Dies beinhaltet den Aufbau eines Energie- und Klimaschutz-Qualitätsmanagments.

Praxisbeispiel Wolfhagen
Wie eine solche Entwicklung zu einem verantwortungsvollen kommunalen Energieeinsatz im einzelnen gestaltet werden kann, lässt sich am Beispiel Wolfhagen ablesen. Die Stadt Wolfhagen (14.000 Einwohner) möchte bis zum Jahr 2015 ihren gesamten Strombedarf selbständig aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen decken und eine ausgeglichene CO2-Bilanz vorweisen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Stadt das Stromnetz vom Netzbetreiber zurückgekauft und verschiedene Erneuerbare-Energien-Projekte geplant. „Mit dem Netzrückkauf kann die Stadt wieder eine eigenständige, kommunale Energiepolitik betreiben. Deshalb ist der Rückkauf für unsere Stadt so wichtig“, betont Bürgermeister Reinhard Schaake. Der Hauptteil der Energie soll in Zukunft aus Windenergieanlagen, Solarzellen und Biomassekraftwerken stammen. Die Stadt verspricht sich von diesem Engagement neben dem Klimaschutz, eine stärkere lokale Wertschöpfung und attraktivere Standortbedingungen.

Herr im eigenen Haus
Die Stadtwerke Wolfhagen, ein Tochterunternehmen der Stadt setzt auf eine selbstbestimmte und unabhängige Energiepolitik. Dafür ist es von großer Bedeutung, im Besitz des Netzes zu sein. Als erste Gemeinde in Nordhessen kauften die Wolfhagener Stadtwerke das Stromnetz von E.on zurück, um künftig die Stromproduktion und Verteilung selbst in die Hand zu nehmen. Problematisch war der hohe Verkaufspreis: Nach Einschätzung des städtischen Versorgers lag der geforderte Kaufpreis über 180 Prozent des tatsächlichen Werts. Die Stadt zahlte die Summe von 2,4 Millionen Euro – unter Vorbehalt. Man wollte möglichst schnell eigene Schwerpunkte in der kommunalen Energiepolitik setzen.

Rückkauf der Netze – Ein scharfes Schwert
Praktisch haben die vier großen Energieversorger die Netze in Deutschland unter sich aufgeteilt und beeinflussen so erheblich die Energiepolitik. Das Kartellamt sieht auf dem deutschen Energiemarkt durch „ kartellrechtliche unzulässige Kooperationen“ der großen Stromkonzerne den Wettbewerb behindert. Wo kein Wettbewerb herrscht, wird der Status quo konserviert. Ein schneller Ausbau der Erneuerbaren Energien auf kommunaler Ebene wurde dadurch jahrelang verzögert. Doch die Kommunen haben das Recht, die ursprünglich im kommunalen Besitz befindlichen Netze zurückzukaufen. „Die Kommunen verfügen mit den Konzessionsverträgen über ein scharfes Schwert, mit dem sie sich gegen die Willkür der Energieriesen wehren und ihre Energieversorgung wieder selbst in die Hand nehmen können“, erklärt der Geschäftsführer der Stadtwerke Wolfhagen Martin Rühl. Auf dem Weg zur 100-Prozent-Kommune Erneuerbare-Energien-Anlagen tragen derzeit in Wolfhagen rund 7 Prozent zur Stromversorgung bei. Die Nordhessen planen den Bau eines großen Windparks. Mit fünf modernen Windenergieanlagen ließen sich über 25 Millionen Kilowattstunden pro Jahr produzieren und so mehr als die Hälfte des jährlichen Strombedarfs decken. Eine Vorabuntersuchung hat ergeben, dass einige Windstandorte Küstenqualität haben und somit über 3000 Stunden Vollaststunden im Jahr durchaus möglich sind. Mit weiteren Projekten, wie der Installation von Photovoltaikanlagen, Biogasanlagen und Energieeinsparungen wollen die Stadtwerke bis zum Jahr 2015 ihren gesamten Strombedarf selbständig und umweltfreundlich erzeugen.

Mit den Bürgern für die Bürger
Die Stadtwerke möchten die Erneuerbaren-Energien-Projekte mit großer Akzeptanz bei den Bürgern umsetzen. Vor diesem Hintergrund werden regelmäßig Informationsveranstaltungen durchgeführt. Bekanntmachungen in der Lokalzeitung und Exkursionen zu Anlagen in anderen Gemeinden runden eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit ab. „Für den Erfolg unseres Projektes ist die Beteiligung der Wolfhagener Bürger von entscheidender Bedeutung. Solch eine historische Weichenstellung betrifft alle Bürger. Dieses Projekt steht und fällt mit ihnen“, betont Bürgermeister Reinhard Schaake. Um die Identifikation zu erhöhen, können sich die Wolfhagener Bürger finanziell am Windpark beteiligen. „Mit einer Einlage von beispielsweise 2.500 Euro könnten Bürger als Miteigentümer auch finanziell vom Windpark profitieren und auf ihrer Stromrechung zugleich die Abrechung ihrer anteiligen Vergütung an der Stromproduktion erhalten“, rechnet der Stadtwerke-Chef Martin Rühl vor.

Stadt holt sich wissenschaftliche Unterstützung
Wissenschaftliche Unterstützung erhalten die Wolfhagener vom Kompetenznetzwerk Dezentrale Energietechnologien, kurz deENet. Mit dem Projekt „Entwicklungsperspektiven für nachhaltige 100%-Erneuerbare-Energie-Regionen in Deutschland“ verfolgt die deENet das Ziel, Kommunen und Regionen bei der Umstellung auf eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien wissenschaftlich zu begleiten und zu beraten. „Die Region kann überproportional profitieren, wenn wir die Chancen, die sich durch die Umstrukturierung in der Energiewirtschaft ergeben, systematisch nutzen“, erklärte der Geschäftsführer der deENet, Martin Hoppe Kilpper, auf einer Informationsveranstaltung in der Wolfhagener Stadthalle. Dabei gehe es um Faktoren wie Arbeitsplätze, regionale Wertschöpfung und Kaufkraftbindung. In Bezug auf Beschäftigung sei die Erneuerbaren-Energien-Branche im Jahr 2020, so Hoppe-Kilpper, genauso bedeutend wie die Automobilindustrie heute.“

Projekt mit Vorbildwirkung
Der Rückkauf und die angestrebten Erneuerbaren-Energien-Projekte haben eine enorme positive Ausstrahlung. Im Frühjahr 2008 besuchten die Bürgermeister von fünf Kommunen die nordhessische Gemeinde. Die Möglichkeiten einer unabhängigen und selbstbestimmten Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien waren von besonderem Interesse. „Wir lassen andere Kommunen gern an unseren Erfahrungen mit der Netzübernahme teilhaben, damit sie auch eine abgewogene Entscheidung treffen können“, betont Martin Rühl. Einige Kommunen könnten dieses Angebot bereitwillig aufnehmen. Allein im Landkreis Kassel schätzt man, dass ein Großteil der 29 Städte und Gemeinden den Rückkauf ihres eigenen Netzes anstreben. 
Erstveröffentlichung am Mittwoch, den 17. September 2008 unter www.lahntalk.de
Pressemitteilung http://www.kommunal-erneuerbar.de, September 2008 / eigener Bericht

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